Jeder Arzt darf D,L-Methadon zur Schmerzlinderung verordnen

von | 16. Juli 2017 | Publikationen

D,L-Methadon ist ein Betäubungsmittel und die Indikation der Schmerzstillung muss stimmen. Die in vielen Einzelfällen belegten Wirkungen auf die verbesserte Wirkung von Krebsmedikamenten, bis hin zum völligen Verschwinden der Tumore und dass in einer sehr niedrigen Dosis, sind ein schöner Nebeneffekt, wie die Chemikerin Dr. Claudia Friesen der Uni Ulm zusammen mit Prof. Dr. med. Miltner und mit Ärzten von Palliativpatienten, wie Dr. Hilscher und Forschern der Charité dokumentiert.

Da meine Patienten mich wiederholt auf diese seit 2008 bekannten Erkenntnisse hinweisen, habe ich es hier thematisiert.

Die Versuche der Uni Ulm sind allerdings Zellkulturen. Wer für sich testen möchte, ob er diesen Effekt auch auf seine Tumorzellen hat, muss schon zu Beginn der Therapie, also bei der Probeexcision oder der Op darauf hinweisen, dass die Proben nicht in Formaldehyd abgetötet und fixiert, sondern in Trockeneis oder Stickstoff tiefgefroren werden sollen. Dann kann man sie später wieder mit DMSO auftauen und damit Zellversuche machen. Das bezieht sich dann sowohl auf Chemotherapeutika, wie auch auch auf den Einfluss von D,L-Methadon.
Eine Studie an Menschen wurde von Reddy A et al. im Juni 2017 veröffentlicht. Bei den 164 untersuchten Patienten ergab sich kein Unterschied im Vergleich der Methadongruppe gegenüber der Verwendung anderer Opiate. Allerdings wurde auch bei keinem der Personen ein Zellversuch zur Wirkung verschiedener Opiate gemacht. Darüber hinaus sehe ich auch keinen Widerspruch, denn es zeigt ja nur, dass alle Opiate gleich wirken. Die Nebenwirkungsrate des D,L-Methadons soll aber am geringsten sein. Darüber hinaus gibt es bei D,L-Methadon keine Toleranzentwicklung, weil die µ-Rezeptoren nicht herunterreguliert werden. Das Racemat besteht zu je 50% aus dem µ-Agonisten Levomethadon und dem Non-Opiod Dextromethadon. Letzteres bindet an die NMDA-Rezeptoren und ist der Grund für das Nicht-Herunterregulieren der µ-Rezeptoren. Es hat eine besonders gute Wirkung bei neuropathischem Schmerz. Die anfängliche Übelkeit vergeht nach Tagen, die Gefahr der Obstipation bleibt aber bestehen. Diese ist im Vergleich zu anderen Opioiden aber gering, denn der Großteil des Medikamentes wird bereits über die Mundschleimhaut aufgenommen.
Methadon kann über seine Agonistenbindung die Aktivierung von Gi-Proteinen verringern, die wiederum die Adenylatzyklasen bremesen würden und somit erreichen, dass die Konzentration von cAMP (zyklischem AMP) vermindert wird. Dadurch erhöht sich die Sensitivität für Chemptherapeutika. Im Ergebnis wird die Proliferation der Tumorzelle vermehrt gebremst, der Zelltod induziert, über die Aktivierung von Caspasen Apoptose-Signalwege (natürlich eingeleiteter Zelltod) reaktiviert. Dazu trägt die Hemmung antiapoptotischer Moleküle wie Bcl-xL und Apoptosehemmern wie XIAP bei. Im Zellversuch sind diese Prozesse durch Hemmung der Verminderung des cAMP wieder umkehrbar.
Krebszellen können in der Lage sein, über Multidrug-Transporter, wie P-Glykoprotein, das Chemotherapeutikum einfach wieder aus der Zelle auszuscheiden und damit das Microenvironment zu zerstören. D,L-Methadon kann diesen Mechanismus erheblich hemmen.
Bestimmte Chemotherapeutika, wie Platinmetallkomplexe (Cisplatin) oder Anthrazykline (Doxorubicin), die schon bei einer Einmaltherapie zu einer Chemoresistenz führen können, schaffen das dadurch, dass sie die Anzahl der Opioidrezeptoren an der Krebszelloberfläche erhöhen. In einer Kombination mit D,L-Methadon kann dieses Phänomen zum Vorteil des Patienten gewandelt werden.
Haben die Tumorzellen von alleine schon sehr viele Opioidrezeptoren, dann konnte man sie in vitro beriets allein mit D,L-Methadon abtöten.
Neben Leukämiezellen haben sich in vitro auch Krebszellen des Hirns, also Gliome, der Brust, der Eierstöcke, des Magens, des Dickdarms, der Prostata, der Bronchien, der Leber, der Harnblase, der Bauchspeicheldrüse und der Haut, also Melanom als für diese Substanz empfindlich gezeigt.
(Quelle: Friesen C. D,L-Methadon erhöht den…Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2017; 49:61-67)

Im Kleinen macht man solche extrocorporalen Untersuchungen ja auch z.B. mit der NK-Zell-Tumor-Killing-Aktivität im Hinblick auf die Wirkung verschiedener Immunstimulantien, wie ich es in meiner Praxis indikationsbezogen regelmäßig veranlasse.
Eine weitere Möglichkeit wäre die Isolation von Tumor- und Tumorstammzellen aus dem Blut. Der Versand in ADMA-Röhrchen, gekühlt und über Nacht, ist die Grundlage einer solchen Untersuchung. Auch an diesen Zellen und deren Mitochondrien kann man entsprechende Wirkungen ausserhalb des Körpers erfassen, bevor man denn selbst zum Versuchskaninchen wird. Das ist alles nicht Bestandteil der Regelleistung, ermöglicht aber eine personalisierte Individualmedizin bei Krebs.
Es ist bekannt, dass Opiate zu Veränderungen von Zytokinexpressionen führen. Hierüber ist wahrscheinlich die Wirkung zu erklären. Dieses könnte man mit modernen Untersuchungspanels erfassen. Darüber hinaus exprimieren Tumorzellen vermehrt Opioidrezeptoren, worüber Dr. Friesen und Prof. Dr. med. Miltner die Wirkung des D,l-Methadons in Kombination mit den Chemotherapeutika erklären.
Dabei weisen Sie nach, dass die Aufnahme der Chemotherapeutika direkt in die Krebszelle und eben nicht in die Umgebungszellen durch D,L-Methadon gefördert und deren Ausscheidung aus den Zellen gehemmt wird. Dadurch kommt es in den Krebszellen zu einer stärkeren Anhäufung des Chemotherapeutikums und damit zu einer stärkeren Wirkung auf die Krebszellen, ohne dass die anderen Körperzellen mehr leiden. Es darf sogar davon ausgegangen werden, dass die Gesamtdosis der Chemotherapie hierunter reduziert werden kann.
Eine neue Studie widerlegt ein Wirkverstärkung der Chemo beim Glioblastom, da diese Krebszellen keine vermehrten Opioidrezeptoren ausbilden würden.Das Deutsche Ärzteblatt berichtet am 16.03.2018 darüber erneut.

Verwandte Themen

Intrazellulär und intramitochondrial erhöhtes Phenylalanin bei myalgischer Enzephalomyelitis (ME)/chronischem Erschöpfungssyndrom (CFS)-Patienten – gibt es einen therapeutischen Ansatz?

Chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS), auch myalgische Enzephalomyelitis (ME) genannt, ist eine schwächende Erkrankung, die durch körperliche und geistige Erschöpfung gekennzeichnet ist. Mitochondriale und energetische Dysfunktion wurde bei CFS-Patienten aufgrund einer charakteristischen Beziehung zu Müdigkeit untersucht; es wurde jedoch noch keine konsistente Schlussfolgerung erzielt. Einzelzell-Raman-Spektren (SCRS) sind markierungsfreie biochemische Profile, die auf phänotypische Fingerabdrücke einzelner Zellen hinweisen. […]

mehr lesen